Forschungscampus ARENA2036
Befehl von ganz unten: der intelligente Boden für die Fabrik der Zukunft
Wer beim Forschungscampus ARENA2036 sagt, wo’s lang geht, wird mit Füßen getreten, denn am Forschungscampus in Stuttgart kommen die Anweisungen von ganz unten. Genauer gesagt: direkt aus dem Boden. Ob per Leuchtspur für Transportfahrzeuge und menschliche Gäste oder per Funksignal an hochmoderne autonome Roboter – der intelligente Boden weiß stets den schnellsten und vor allem sichersten Weg.

Die Idee, den Fabrikboden grundlegend neu zu denken, kam aus einem drängenden Problem der aktuellen Zeit: Wie kann eine Fabrik oder Fertigungslinie schnell und unkompliziert umgebaut werden? Die steigende Nachfrage nach individuellen Produktvarianten, beispielsweise beim Automobil, führt dazu, dass Unternehmen in der Lage sein müssen, eine immer größere Palette an Varianten schnell und flexibel produzieren zu können. Bei Autos bedeutet das, dass nicht nur Farbe oder Ausstattung variabel sind, sondern auch komplexere Bauteile wie Motorvarianten, Assistenzsysteme oder Elektronikkomponenten. Am Forschungscampus ARENA2036 nähern sich gleich mehrere Projekte aus verschiedenen Richtungen dieser Frage.
Drahtlose Technologien für flexible Fabriken
Beim intelligenten Fabrikboden soll vor allem der schnelle Umbau von Fertigungsabläufen und Warenströmen in Fabriken unterstützt werden. Die Versorgung mit elektrischem Strom und der Zugang zu Datennetzwerken erfolgt bis heute meistens mittels fest verbauter Anschlüsse und Kabel. Sollen die Anlagen jedoch schnell und mit niedrigem Personalaufwand verlegt oder umgebaut werden, muss die Versorgung auf anderem Weg erfolgen. Ein Lösungsansatz ist die Datenanbindung über drahtlose Technologien und die kontaktlose Stromübertragung per Induktion, die ganz auf Kabel verzichtet.
Am Stuttgarter Institut für Energiewandlung (IEW) wird an effizienten Übertragungsmöglichkeiten für elektrische Energie geforscht, um beispielsweise Elektroautos zu laden oder Industriemaschinen mit Strom zu versorgen. Dr. Javier Stillig brachte die Idee, die Stromversorgung mittels Induktion zu lösen, 2018 an den Forschungscampus ARENA2036. Er ist Entwicklungsingenieur bei Bosch Rexroth und der Erfinder der ersten Konzeptstufe des intelligenten Bodens, bei der es zunächst ausschließlich um die Stromversorgung von Maschinen in einer Fabrik ging. Mittlerweile können über die Stromversorgungseinheiten, die überall im Boden verbaut sind, an die Maschinen eine Leistung von bis zu drei Kilowatt übertragen werden – ganz ohne Umstecken.
Inspiriert von anderen Mitgliedern am Forschungscampus kamen über die Jahre zahlreiche weitere Technologien hinzu: Sensoren messen beispielsweise Gewichtsbelastungen und ermöglichen die Verortung von Personen, Maschinen und Waren auf dem Boden. So kann die Steuerungssoftware sich ein genaues Bild davon machen, was sich wo befindet und mögliche Gefahren auch ohne Ortungsgeräte oder Kameras erkennen. Nähert sich also beispielsweise eine Person unbewusst einem Gefahrenbereich, kann die zentrale Steuerung Maschinen automatisch stoppen oder die Fahrwege von Transportrobotern verändern, um Unfälle zu vermeiden. Daten werden per Funk, Wi-Fi oder 5G übertragen, denn für unterschiedliche Anwendungen und Geräte gibt es unterschiedliche Schnittstellen, die jeweils separat angebunden und erprobt werden mussten. Eine Herausforderung, die ohne engen Austausch mit anderen Teams, Expertinnen und Experten, nur schwer zu meistern ist.
Nähe spart Zeit und deckt Bedarfe auf
„Wenn ich nicht gerade am Institut oder unterwegs bei den anderen Prototypen des Bodens bin, arbeite ich am liebsten vor Ort am Forschungscampus ARENA2036 in Stuttgart, weil der lockere Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Projektpartner hier sehr bereichernd ist. Beim Mittagessen mit Start-ups, beim Kaffee mit Bosch-Kolleginnen und -kollegen. Hier habe ich für beinahe jede wichtige Technologie und Anwendung jemanden nebenan sitzen. Das erleichtert mir den Arbeitsalltag sehr, weil ich nicht jedes Mal Termine vereinbaren oder mühsam recherchieren muss“, erzählt Stillig. Nicht immer brächten diese Gespräche direkt neue Projekte oder fertige Produkte hervor, aber sie sparten viel Zeit und deckten Bedarfe schon frühzeitig auf.
Stilligs Kollege Dr. Daniel Ewert, der als Forschungsingenieur von Bosch Research ebenfalls am Projekt arbeitet, erklärt: „In der Fabrik der Zukunft können wir uns nicht darauf verlassen, dass es genügt, eine Produktionslinie einmal für Jahre oder gar Jahrzehnte zu planen. Wir müssen damit rechnen, dass Fertigungen künftig regelmäßig und innerhalb kurzer Zeit umgebaut, erweitert und produktionsbereit gemacht werden müssen. Diesen Anforderungen stehen in der Gegenwart starre Produktions- und Montageanlagen mit komplizierten Inbetriebnahmen entgegen.“ Der intelligente Boden kann einfach auf vorhandene Flächen aufgesetzt werden und besteht aus einzelnen Modulen in denen Sensorik, Stromversorgung und Wegeleitspuren verbaut sind. So können Unternehmen künftig Flächen schnell um zusätzliche Module erweitern oder einzelne Platten zur Wartung austauschen.
Viele Schnittstellen für Flexibilität existieren schon
Die Vision: Zukünftig sollen in einer Fabrik nur noch Boden, Dach und Wände fest installiert sein, alle anderen Elemente einer Produktionsanlage können flexibel angepasst werden. Ein großer Teil der dafür notwendigen Technologie und Schnittstellen existiert, dank der engen Zusammenarbeit vieler Projektpartner, wie Bosch, dem IEW, dem Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT), der Firma Pilz, den Start-ups NAiSE und ThingOS und vielen weiteren Unternehmen und Instituten. Zusätzlich zur Installation in der ARENA2036 wird der Boden unter anderem an Standorten in Ulm, Magdeburg und Elchingen für verschiedene Anwendungsbereiche getestet.
Die Förderinitiative „Forschungscampus“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die den Forschungscampus ARENA2036 seit über zehn Jahren unterstützt, ermöglicht die Umgebung für solch komplexe Projekte erst. Ohne eine solche Innovationsplattform hätten die vielen Entwicklerinnen und Entwickler des intelligenten Bodens vermutlich nicht zusammengefunden und der Forschungscampus ARENA2036 wäre der Verwirklichung der Vision von der Fabrik der Zukunft noch ein gutes Stück ferner.