Forschungscampus Mobility2Grid
"Am Forschungscampus haben wir wirklich einen geschützten Rahmen"
Abwechslungsreichtum und Verbindlichkeit schätzen Ricarda Mendy und Jan Heinekamp bei ihrer Arbeit am Forschungscampus Mobility2Grid. Ein weiteres großes Plus für beide: Sie leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit.
Ricarda Mendy, 34 Jahre alt, R&D-Projektmanagerin (Research und Development) bei der Firma Hubject, und Jan Heinekamp, 30 Jahre alt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin, arbeiten beim Forschungscampus Mobility2Grid zusammen am Thema Netzintegration. Etwa 60 Prozent ihrer Zeit ist Ricarda Mendy für den Forschungscampus Mobility2Grid tätig. Die Stelle von Jan Heinekamp an der Universität ist über Drittmittel finanziert. Er arbeitet fast ausschließlich für den Forschungscampus. Zum Interview treffen wir beide in einem Großraumbüro in der Geschäftsstelle des Forschungscampus Mobility2Grid. Schräg gegenüber dem Gebäude befindet sich die zeemobase, ein Showroom für Elektromobilität auf dem EUREF-Campus, wo der Forschungscampus Mobility2Grid angesiedelt ist. Die zeemobase spielt in der Arbeit von Mendy und Heinekamp eine bedeutende Rolle. Hier wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen, lokal gespeichert und in Mobilität umgesetzt, indem zum Beispiel E-Autos hier laden können.
Was ist Ihr Arbeitsbereich am Forschungscampus? Was genau machen Sie bei Mobility2Grid?
Ricarda Mendy: Wir sind im Projekt vor allem für das Thema Smart Charging von E-Autos zuständig. Das haben wir jetzt lange konzeptionell erforscht und uns überlegt, wie die Systemarchitektur dafür aussehen muss, welche Akteure und Rollen es gibt. Jetzt sind wir dabei, das Konzept umzusetzen. Wir wollen versuchen, die Energie, die zum Laden bereitsteht, so effizient wie möglich zu verteilen. Auch mit Blick auf die Auslastung an der zeemobase. So soll zum Beispiel ermöglicht werden, dass Autos mit einem niedrigeren Ladestand und kurzer Parkdauer schneller laden und solche, die länger dort stehen, langsamer. Das ist die Art von Smart Charging, die wir uns anschauen. Smart Charging ist ja kein geschützter Begriff. Das interpretiert jeder ein bisschen anders.
Jan Heinekamp: Häufig hören wir – beispielsweise auf Konferenzen – dass es die Technologie für Smart Charging von Elektrofahrzeugen bereits gibt. Aber kaum jemand geht den nächsten Schritt. Die Komplexität des Energiemarktes und des Stromnetzes, die Regulatorik, dieser ganze systemische Background ist hier einfach noch eine Challenge. Darum schauen wir uns die Rollen und Akteure auch wissenschaftlich so genau an. So können wir ein Akteursmodell für die Netzintegration und das Smart Charging von Elektrofahrzeugen entwickeln. Das bedeutet, aufzuzeigen, wie die beteiligten Steakholder miteinander agieren müssen, damit Netzintegration und Smart Charging auch in der Realität funktionieren. Dabei können wir einzelnen Akteuren in unserem Forschungscampus-Netzwerk konkrete Fragen stellen. Das sehe ich als einen Riesenvorteil dieser Zusammenarbeit hier vor Ort, dass wir einfach ausprobieren und testen können.
Ricarda Mendy: Es gibt schon gute Visionen, Ideen und auch umgesetzte Technologien. Aber dass am Ende alles so zusammenwirkt, dass alle davon etwas haben, darum geht es jetzt: Auf welche Standards einigen wir uns? Da erlebe ich es im Forschungscampus so, dass man nicht an Lösungen interessiert ist, die ein einziges Unternehmen bereichern, sondern die wirklich transferierbar sind auf andere Areale, die global nutzbar sein sollen. Darum versuchen wir, das Thema aus allen Perspektiven zu beleuchten und deswegen ist es toll, dass der Forschungscampus Mobility2Grid Partner aus allen möglichen Ecken hat.
Gibt es einen normalen Arbeitstag und Ablauf?
Ricarda Mendy: Ich habe fast jeden Tag einen größeren Call oder ein Treffen mit Bezug zum Forschungscampus Mobility2Grid. Ansonsten treffe ich mich mit unserem Hubject-Entwickler, um Sachen weiter zu bearbeiten.
Jan Heinekamp: Es gibt wiederkehrende Termine, die laufen gleich ab, aber es gibt keinen Alltag aus meiner Sicht. Das ergibt sich auch ein bisschen aus dem Konstrukt: Hier hat man ja beides, Forschung und Wirtschaft. Ich bin sehr froh, dass ich an der Universität wissenschaftlich frei forschen kann, und gleichzeitig diesen Kontakt und Einblicke in die Industrie habe.
Ricarda Mendy: Und ich finde es schön, dass es zukunftsorientierte Themen sind. Nicht reine Zukunftsmusik, die man sich zusammenspinnt und visioniert, sondern dass wir es konkret machen. Wir wollen hier in der zeemobase ganz konkret Smart Charging umsetzen und zeigen, dass es funktioniert.
Wie sind Sie zum Forschungscampus Mobility2Grid gekommen?
Jan Heinekamp: Ich bin schon 2015 als studentische Hilfskraft zum Forschungscampus gekommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade mit meinem Master in Elektrotechnik begonnen. Das war in der ersten Förderphase von Mobility2Grid. Davor war ich ein Jahr als Werksstudent in der Industrie. Ich hatte dann nach einer Stelle gesucht, wo man direkt etwas zum Thema Nachhaltigkeit beitragen kann. Das war mir perspektivisch auch nach dem Studium wichtig. Aber schon bei der Hilfskraftstelle dachte ich: Das macht Sinn. Wir betrachten ja nicht nur Elektrofahrzeuge, es geht auch um erneuerbare Energien und um den Betrieb von Stromnetzen. Hier haben wir die Verbindung von nachhaltiger Energieversorgung, Ingenieurswissenschaften und Mobilität. Und ich fand die Idee damals bereits spannend, Elektrofahrzeuge als Speicher zu nutzen. Es ist aber auch ein ganz anderes Umfeld hier als nur Wirtschaft alleine. Ein Unternehmen nehme ich eher als ein Gebäude wahr, in dem man täglich ist; auch die Uni kennt man nach ein paar Jahren. Der Forschungscampus ist so ein Zwischending; das ist Abwechslung.
Ricarda Mendy: Ich habe VWL studiert und hatte während des Studiums noch gar keine Vorstellung davon, dass es mal in Richtung Energie, Elektromobilität gehen könnte. Ich bin erst durch ein Praktikum in Chicago bei der Deutschen Auslandshandelskammer in Kontakt mit dem Thema gekommen. Vor meiner Tätigkeit für Hubject habe ich dann erst für ein Beratungsunternehmen im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz gearbeitet. Mit dem Thema habe ich mich von Anfang an irgendwie wohlgefühlt. Das ist zukunftsgewandt und relatable – also es betrifft uns alle. Energie, Mobilität und Digitalisierung: Diese drei Felder fand ich einfach spannend. Als ich eines davon vertiefen wollte, fand ich den Elektromobilitätsmarkt am spannendsten. Da steht die ganze Marktstruktur gefühlt immer davor, dass sie sich auch noch mal ändern könnte, dass sich durch neue Technologien noch mal ganz neue Türen öffnen. Genau deswegen habe ich mich dafür entschieden. So bin ich bei Elektromobilität und letztlich bei Hubject gelandet. Irgendwann kam Franzi (Franziska Kaiser, Geschäftsführerin des Forschungscampus Mobility2Grid) und hat mich auf eine Zusammenarbeit von Hubject und dem Forschungscampus Mobility2Grid angesprochen. Wir hatten bei einem anderen Projekt schon miteinander zu tun. Gerade bei Themen wie Smart Charging und bidirektionales Laden haben wir Chancen gesehen. So ist Hubject Partner vom Forschungscampus Mobility2Grid geworden und damit bin ich auch dabei.
Herr Heinekamp, Sie sagen, dass es in der Wirtschaft irgendwann immer gleich abläuft und man in der Uni auch schnell alles kennt. Am Forschungscampus ist man ja auch eine gewisse Zeit und dann kennt man doch die Abläufe, die Menschen, die Strukturen genauso. Was macht den Forschungscampus trotzdem anders?
Ricarda Mendy (lacht): Na dann kommt Franzi und schickt eine Mail, dass jemand zu Besuch kommt und etwas kennenlernen will, was wir dann vorbereiten. Oder es gibt eine Veranstaltung mit Studenten, für die wir dann versuchen, Inhalte entsprechend aufzubereiten.
Jan Heinekamp (nickt): Man kennt vielleicht den Ort, aber selbst der EUREF-Campus, also der Ort verändert sich. Zum Beispiel der Gasometer nebenan, das Gebäude darin wurde so schnell hochgezogen. Und auch inhaltlich: Eigentlich ist kein Tag gleich. Wie Ricarda sagt, auf einmal kommt eine interessierte Gruppe vorbei, oder es entwickeln sich neue Technologien, die wir berücksichtigen müssen, ein neues Gesetz – und wir müssen neu denken.
Ricarda Mendy: Auch durch die Vielfalt der Projektpartner. Wir sind ja ein großes Konsortium mit verschiedenen Arbeitspaketen. Da gibt es Koordinationstreffen und man hat immer wieder neuen Input. Ich glaube, wir halten uns gegenseitig gut auf dem jeweils aktuellen Stand in den verschiedenen Gruppen: Es wird immer vorgestellt, woran wer gerade arbeitet, so dass man immer gucken kann, wo es Überschneidungen gibt oder inwiefern etwas für uns relevant oder spannend ist.
Wie wirkt es sich auf Ihre Mutterorganisation – also Hubject bzw. die Technische Universität Berlin – aus, dass Sie am Forschungscampus tätig sind?
Ricarda Mendy: Also wir könnten das, was wir machen, gar nicht so umsetzen, ohne den Forschungscampus. Wir brauchen zum einen die finanzielle Unterstützung, um diese Themen zu bearbeiten, weil sie zukunftsgerichtet sind und nicht absehbar ist, wann sich damit vielleicht Gewinne erzielen lassen. Zum anderen hilft die Infrastruktur hier enorm. Dass wir die zeemobase nutzen können, dadurch wird es überhaupt konkret. Ohne wäre Smart Charging nur ein Buzzword. So können wir es wirklich angehen. Und die Erfahrungen, die wir sammeln, fließen natürlich auch in andere Aktivitäten ein.
Jan Heinekamp: Ein großer Unterschied ist, dass hier am Forschungscampus Mobility2Grid viele Menschen mit einem übergeordneten Ziel arbeiten. An einer Uni arbeiten vielleicht mal zwei oder drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ein Projekt, aber ansonsten forscht eher jeder für sich. Auch wenn es schon einen projektübergreifenden Austausch gibt, müssen die Projekte ja förderungstechnisch voneinander abgegrenzt sein. Natürlich fließen Erkenntnisse, die wir hier am Forschungscampus gewinnen, direkt mit in die Lehre an der Universität ein. Daten, die wir am Forschungscamps erheben, können beispielsweise von Studierenden im Rahmen von Abschlussarbeiten ausgewertet werden.
Ricarda Mendy: Wenn ich überlege, wie es wäre, wenn Hubject so ein Projekt alleine umsetzen wollen würde – statt zusammen mit dem Forschungscampus Mobility2Grid, dann muss ich sagen: Es ist zwar manchmal ein bisschen bürokratischer und langsamer auf den ersten Blick hier am Forschungscampus, aber dafür ist es auch einfach abgesicherter. Das, was man als Konsortium verspricht, das muss dann auch gemacht werden, wenn man die Finanzierung dafür haben möchte. Diese Verbindlichkeit, die hat man, wenn man an potenzielle Wirtschaftspartner herantritt, nicht in der Form. Da weiß man nie, ändert der Partner sein Businessmodell oder seine Vision, womit dann möglicherweise das gemeinsame Projekt vor dem Aus steht. Hier am Forschungscampus haben wir wirklich einen geschützten Rahmen.
Gab es im Rahmen ihrer Forschungsarbeit einen AHA-Moment, in dem es sich angefühlt hat, als würde endlich alles zusammenlaufen?
Ricarda Mendy: Ich würde sagen, dass ich so eine Art Moment hatte, als wir unseren Showcase gemacht haben, an der zeemobase. Ich komme ja nicht aus der universitären Forschung. Ich arbeite für ein Unternehmen. In der Forschung redet man viel über technische Lösungen und zeichnet es auf, aber es bleibt oft sehr theoretisch. Wenn man aber dann anfängt, sein Vorhaben wirklich umzusetzen, den Laborversuch-Aufbau macht, dann merkt man erst, was die Idee eigentlich bedeutet. Wenn man den allerersten kleinsten Schritt umsetzen will und merkt, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, dass alles dann auch klappt. Also wir haben sozusagen den allerersten Prototypen, eine ganz einfache Version von unserem Smart Charging gezeigt im August. Ich weiß noch, dass wir richtig gebibbert haben, ob alles funktioniert. Ob wir den Ladewert an der Säule im Display sehen. Ja, das war so mein AHA-Moment. (lächelt) Wenn ich die Begebenheit jetzt erzähle, ist es an sich keine Rocket Sciene gewesen; die Geschichte klingt im Nachhinein eigentlich sogar sehr einfach. Aber die Umsetzung ist immer noch mal was ganz Anderes. Solche Erlebnisse hätte ich im Unternehmensalltag so nicht.
Jan Heinekamp: Was Ricarda sagt, würde ich genauso unterschreiben. Ich weiß nicht, ob die Besucherinnen und Besucher diese Spannung gemerkt haben, ich habe sie auch total gespürt.
Wie ist es andersherum mit Rückschlägen? Man könnte ganz abgeklärt sagen, da lernen wir auch draus und das bringt uns nach vorne. Und ist das so einfach?
Jan Heinekamp: Jetzt mal stark aus der wissenschaftlichen Perspektive: Man beschäftigt sich wirklich sehr intensiv mit einem Thema und auf einmal findet man ein Paper, das zu 90 Prozent das Gleiche aussagt. Diese Entdeckung ist natürlich schon ein Rückschlag, weil man sein Thema dann nicht mehr in der Form veröffentlichen kann. Aber die Veröffentlichung ist auch eine Bestätigung. Weil sie deutlich macht, dass es ein wichtiges Thema ist. Sonst würde es sie nicht geben. Und jetzt kann man sich noch weiter abgrenzen, sein Thema quasi sogar noch verfeinern und verbessern. Schön ist es trotzdem nicht. Es ist aber auch nicht schlecht, dass es passiert, aus meiner Sicht.
Ricarda Mendy: Also ja, es gibt schon Frustration. Zum Beispiel ist in einem Standard nicht vorgesehen, dass der Ladezustand des Autos über dieses Protokoll, über diesen Standard übermittelt wird, wenn Wechselstrom benutzt wird. Dabei ist das gesamte Konzept von Smart Charging für Wechselstrom sogar vielleicht sinnvoller. Aber diesen Standard kann man nicht ändern. Die Situation ist zum einen frustrierend. Zum anderen zwingt sie uns, kreativ zu werden – eine technische Hilfe zu schaffen. Das ist schon Habitus geworden und macht die Natur von Forschen aus, dass man Rückschläge hat, aber sozusagen das Beste daraus macht. Und speziell bei dem Beispiel haben wir als Forschungscampus auch das Netzwerk und Kontakt zu entsprechenden Gremien, die hier Entscheidungen treffen, oder zur Politik, um das Thema weiterzugeben. Da gibt es zumindest die Chance, dass diese Standards noch einmal diskutiert und vielleicht angepasst werden.
Gibt es Momente bei der Arbeit, in denen Sie denken, das ist „typisch Forschungscampus“?
Jan Heinekamp: Die Diskussionen außerhalb der geplanten Agenda bei Projekttreffen. Dadurch, dass so viele Perspektiven im Raum sitzen, entfaltet sich das praktisch von selbst. Es entsteht sowas Lebhaftes – interessante Ideen, die wir festhalten und je nachdem auch weiterbearbeiten. Das ist schon typisch Forschungscampus: Jeder kann offen sagen, was er oder sie möchte, man muss sich nicht irgendwie zurückhalten.
Ricarda Mendy: Ja, es bringt jeder seine Perspektive ein. Es wird auch viel diskutiert. Und gleichzeitig kam es noch nie vor, dass irgendeine Arbeit blockiert wurde oder dass man sich nicht einigen konnte, wie es weitergeht. Es gibt hier keine Ellenbogenmentalität. Es geht immer um das gemeinsame Ziel.