Forschungscampus FEN
„Gewisse Dinge wären nicht nur langsamer, sondern wären überhaupt nicht möglich.“
Der Forschungscampus FEN eröffnet sowohl für die Wissenschaft als auch für die Wirtschaft Chancen, die ohne ihn nur sehr viel schwerer zu ergreifen wären. Darin sind sich Philipp Wienkamp und Dr. Michael Weuffel einig. Die beiden Elektrotechniker wollen durch ihre Forschung den sicheren und zuverlässigen Betrieb zukünftiger Gleichstromnetze ermöglichen.
Philipp Wienkamp, 30 Jahre, arbeitet im Lehr- und Forschungsgebiet für Hochspannungstechnologie des Instituts für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft der RWTH Aachen. Dr. Michael Weuffel, 38 Jahre, leitet die Entwicklungsabteilung für Vakuumschaltkammern bei ABB in Ratingen, früher war er am selben Institut wie Wienkamp tätig. Dort hat Weuffel den jüngeren Kollegen als studentische Hilfskraft betreut. Inzwischen ist Wienkamp leitender Oberingenieur und hat Weuffel und sein Unternehmen ABB als industriellen Partner zum Forschungscampus FEN geholt. Dort arbeiten beide zusammen im Projekt ESCape. An der Förderinitiative „Forschungscampus“ schätzen sie vor allem die Möglichkeiten, die sie eröffnet. Welche das genau sind, erzählen sie im Interview.
Was ist Ihre Aufgabe am Forschungscampus FEN?
Philipp Wienkamp: Wir forschen an Schutzkomponenten, die auch bei Gleichstrom funktionieren, speziell an Leistungsschaltern. Ein Leistungsschalter, das ist sozusagen eine Art „Sicherung“ in einem elektrischen System. Der Leistungsschalter kann im Notfall den Stromkreis an bestimmten Stellen unterbrechen und so beispielsweise Personen schützen.
Michael Weuffel: Das ist für uns ein sehr interessantes Thema. Unsere elektrische Energieversorgung kommt historisch aus der Wechselspannungstechnologie und ABB ist in diesem Feld gut etabliert. Aber wir müssen uns mit der Zukunft beschäftigen und der Frage, wo die Reise hingeht, wenn zukünftig vermehrt Gleichstrom genutzt wird – zum Beispiel durch die zunehmende Integration von erneuerbaren Energien. Im Forschungscampus FEN beteiligen wir uns darum inhaltlich an der Forschungsarbeit, dem Austausch, bringen unsere Expertise ein und stellen Komponenten für Experimente oder Demonstratoren zur Verfügung. Dann wollen wir natürlich von den Ergebnissen profitieren und nutzen diese als Grundstein für unsere Produktentwicklung.
Woher kommt Ihr Interesse an diesem speziellen Bereich der Elektrotechnik, an Leistungsschaltern?
Philipp Wienkamp: Ich erinnere mich konkret an eine Vorlesung über Komponenten während des Studiums, in der ich das erste Mal das Gefühl hatte, auch etwas anpacken zu können. Da ging es um Dinge, die man nicht nur am Computer simuliert, sondern es ging um Komponenten, die man wirklich in der Hand halten kann. Das war greifbar. Von da an wollte ich mehr darüber erfahren, erst über einen HiWi-Job, später über meine Abschlussarbeit. Beides hat mir so gut gefallen, dass ich davon nie weggekommen bin. Nach meinem Studium habe ich direkt hier am Institut und beim Forschungscampus FEN angefangen. Ich wollte genau dieses Forschungsfeld weiterführen.
Michael Weuffel: Bei mir war es recht ähnlich. Im Hauptstudium der Elektrotechnik gab es Vorlesungen über elektrische Anlagen und elektrische Energieversorgungssysteme. Mir war es irgendwann allerdings zu abstrakt, dass Leistungen hin und her geschoben und Ströme einfach geschaltet wurden. Ich hatte eher den Wunsch, zu verstehen, wie das im Detail funktioniert. Also: Alle reden von einem Schalter, wie funktioniert der genau? Das war als HiWi mein Weg zu diesem Institut. Damals waren Arbeiten ausgeschrieben, die sich mit Leistungsschaltern beschäftigt haben. So bin ich an den Leistungsschalter gekommen. Und ähnlich wie bei Philipp hat mich das dann nicht mehr losgelassen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus – oder kennen Sie Alltag eigentlich gar nicht?
Philipp Wienkamp: Also in meinem Fall würde ich sagen, nein. Die Aufgaben sind sehr, sehr gemischt. Bezogen auf die Forschung im Forschungscampus sind das experimentelle Untersuchungen im Labor, das Ableiten von nachbildenden Modellen aus Experimenten. Es gibt den Austausch mit Michael, ich spreche mit Studierenden, die mich natürlich auch bei den Untersuchungen unterstützen. Ich tausche mich mit der mechanischen Werkstatt aus, besorge Teile für die Versuchsaufbauten, stimme mich ab mit Kolleginnen und Kollegen im Forschungscampus FEN, die mit im Projekt ESCape arbeiten. Schon bezogen auf den Forschungscampus FEN gibt es keinen Alltag – und der Forschungscampus bestimmt einen wesentlichen Teil meiner Arbeitszeit. Dazu kommen dann meine anderen Aufgaben am Institut, die auch sehr divers sind von der Lehre bis zu organisatorischen Tätigkeiten. Also von daher: ein klares Nein. So einen typischen Alltag gibt es nicht.
Michael Weuffel: Ich würde schon sagen, es gibt Arbeitsalltag. Der ist für mich persönlich allerdings nicht so stark vom Forschungscampus FEN dominiert. Die Kollaboration mit dem Forschungscampus FEN ist bei uns ein Baustein innerhalb von einem Dutzend Projekten. Das heißt nicht, dass es für uns minder wichtig ist, aber es ist nicht so dominant.
Was unterscheidet die Arbeitsweise am Forschungscampus von der in Ihrer Mutterorganisation?
Philipp Wienkamp: Die Frage ist für mich recht schwer zu beantworten, weil eben ein überwiegender Anteil meiner Arbeit im Forschungscampus stattfindet. Die Arbeit, die dort stattfindet, ist grundsätzlich verschieden. Das ist zum Beispiel die Lehre oder ich betreue Studierende. Das sind ganz andere Tätigkeiten, die nichts mit Forschung zu tun haben.
Michael Weuffel: Ich kann den Unterschied für mich mittlerweile schon beschreiben: An der Uni sei es als Student, aber eben auch als Doktorand hat man noch die Besonderheit, d.h. die Freiheit, aber auch die Pflicht, dass man sich mit wenigen Themen sehr, sehr tief und intensiv auseinandersetzen kann. Das geht im Forschungscampus auch. In der Industrie ist irgendwann der Tisch voll mit vielen verschiedenen Themen, bei denen man möglicherweise nicht mehr immer so in die Tiefe gehen kann. Da lernt man dann rückblickend zu schätzen, welche Freiheiten man an der Universität hatte.
Inwiefern können Sie denn etwas aus dem Forschungscampus in Ihr Unternehmen mitnehmen?
Michael Weuffel: Das sind einerseits die Ergebnisse, das ist aber auch die Zusammenarbeit insgesamt. Wir halten Kontakt zur RWTH Aachen und schauen, was für Möglichkeiten sich daraus auch über den Forschungscampus FEN hinaus ergeben. Zum Beispiel in Form von Unterstützung durch Labore oder Messmittel, wenn wir eine Prüfkampagne anstehen haben. Die Forschungskollaboration ist insgesamt nicht nur ein Invest in die Ergebnisse oder in das Netzwerk, sondern auch in die Menschen. Da tun sich immer wieder Möglichkeiten auf, Leute für die eigene Firma zu begeistern und vielleicht sogar zu rekrutieren. Das ist nicht das Allerwichtigste, aber ein Aspekt.
Was kann denn die Uni oder der Lehrstuhl aus dem Forschungscampus ziehen?
Philipp Wienkamp: Zum einen die finanzielle Möglichkeit, an gesellschaftlich relevanten und dringenden Fragestellungen zu forschen, die mich als Doktorand interessieren und die auch in die Forschungsfelder des Instituts passen. Darüber hinaus macht das Netzwerk den Forschungscampus FEN zu etwas Besonderem, sowohl akademisch als auch industriell. Dass verschiedene Hersteller mitdiskutieren oder Komponenten zur Verfügung stellen, das findet man in dieser Größenordnung nicht in einem einfachen Forschungsprojekt. Michael ist jetzt hier stellvertretend, ich unterhalte mich auch mit anderen industriellen Teilnehmern, die mich unterstützen und mit anderen Forschungsinstituten an der Universität. Die interdisziplinäre Forschung und die Heterogenität der beteiligten Industriepartner, also dieses große Netzwerk, machen den Forschungscampus so interessant.
Michael Weuffel: Ja, die Gesamtheit aller Forschungscampuspartner ist etwas Besonderes. Über die verschiedenen Connections zwischen den Beteiligten, zwischen den Instituten, zwischen den Industriepartnern findet man zu einer Fragestellung immer jemanden, der etwas beitragen kann. Das unterscheidet sich dann von einer Uni-Kollaboration, wo ein Industriepartner alleine mit einem einzelnen Institut an einem Thema arbeitet. Eine Motivation von ABB oder von Industriepartnern allgemein ist unabhängig davon natürlich auch: Wir wollen dieses Forschungsthema, das Thema der Energieversorgung und zukünftiger Produkte nicht den Marktbegleitern alleine überlassen, sondern wir wollen frühzeitig mitgestalten und ein Teil davon sein – auch wenn es um Normung und Standardisierung geht.
Wie einfach ist es denn da, ein vertrauensvolles Verhältnis zu allen aufzubauen, wenn man doch in der Wirtschaft vielleicht mit einigen anderen Industriepartnern eher in Konkurrenz steht?
Michael Weuffel: Ich glaube schon, dass da im Grundsätzlichen eine sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit herrscht. Jetzt ist es so, dass wir in dem ESCape-Projekt, nicht mit anderen Herstellern von Vakuumschaltkammern zusammenarbeiten. Aber trotzdem – das gehört dazu, wenn man solche Kollaborationen eingeht und auch Ergebnisse oder Wissen teilt und nachher Ergebnisse veröffentlicht werden: Wir können nicht alles teilen, was wir wissen. Das ist wohl bei allen Industriepartner so und bei jeder Uni-Kollaboration. Aber auf der Basis von Geheimhaltungsvereinbarungen existiert dann schon ein sehr guter, vertrauensvoller Austausch.
Hilft Ihrer Einschätzung nach das Format „Forschungscampus“, diese Form der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, dabei, Dinge schneller zu entwickeln?
Philipp Wienkamp: Definitiv. Ich würde sogar sagen, gewisse Dinge wären nicht nur langsamer, sondern wären überhaupt nicht möglich ohne den Forschungscampus. Wenn es beispielsweise darum geht, Komponenten bereitgestellt zu bekommen, die keine Serienprodukte sind, sondern die spezifisch für unsere Bedürfnisse angepasst sind, die könnten wir nirgends kaufen. Aber über das Netzwerk am Forschungscampus können wir sie bekommen.
Michael Weuffel (nickt): Und es ist eben ein neues Feld. Es gibt noch keinen final definierten Standard, es gibt noch keine Normung. Da geht jeder Hersteller erstmal vorsichtig vor, vielleicht in ganz kleinen Schritten. Tatsächlich kann so eine Organisation wie der Forschungscampus FEN dazu beitragen, dass alle Beteiligten an einen Tisch kommen und dadurch insgesamt die Sache auch schneller wird, als wenn alle in Tippelschritten vorangehen und abwarten, wie der Markt etwas annimmt.
Werfen wir einen Blick auf Ihre vielleicht auch gemeinsame Forschung: Gab es da einen Aha-Moment, einen Moment des Durchbruchs?
Philipp Wienkamp: Forschung ist oft davon geprägt, dass man kleine Erfolge verzeichnet, die sich dann summieren und erst auf Dauer einen signifikanten Unterschied machen oder eine Verbesserung darstellen. In den seltensten Fällen gibt es so einen Durchbruch-Moment, wo man sich in der Situation denkt, jetzt haben wir die Welt revolutioniert. Es ist eher so, dass zwei Jahre vergehen von der ersten Idee bis zum Test im Labor: Von ersten Skizzen und dem ersten Entwurf eines Prototyps am Computer über Gespräche mit der Werkstatt, den Einkauf von Komponenten, viele Wiederholungen des Aufbaus des Prototyps mit vielen Studierenden, bis der dann wirklich im Labor steht und getestet wird. Wenn der dann auch noch funktioniert, dann ist das ein wahnsinnig schöner Moment.
Und auf der anderen Seite gibt es auch Rückschläge, die sich besonders im Gedächtnis bleiben?
Philipp Wienkamp: In der experimentellen Welt sind die Rückschläge, an die man sich besonders erinnert, natürlich die, wenn was kaputtgeht. Oft sind das die Momente, in denen man auch am meisten lernt, auch wenn sie zuerst vielleicht am meisten wehtun. Denn wenn im Labor wirklich was kaputtgegangen ist, kann es Monate dauern, bis es wieder repariert ist.
Michael Weuffel: Das fühlt sich erstmal natürlich nicht toll an. Gerade wenn man sich mehrere Wochen oder Monate mit sehr viel Geld und Zeit auf einen Versuch vorbereitet hat. Oft sind unsere Versuche ja davon geprägt, dass man lange aufbaut und vorbereitet und der eigentliche Versuch in einigen 100 Millisekunden abläuft. Wenn der Versuch dann versagt und der Aufbau kaputtgeht, ist das natürlich erst ein Rückschlag.
Welche drei Wörter beschreiben in Ihren Augen die Forschungscampus-Kultur?
Philipp Wienkamp: Die „Forschungscampus-Kultur“ ist eine sehr offene, sehr transparente und sehr hilfsbereite Kultur. Insofern, als dass man keine Sorge haben muss, dass jemand Forschungsergebnisse klaut oder ein Industriepartner enttäuscht ist, weil etwas nicht funktioniert hat. Es ist eher eine sehr positive, motivierende Atmosphäre, eine „Alle ziehen an einem Strang-Kultur“.
Michael Weuffel: Das kann ich unterstreichen. Ich finde die Kultur tatsächlich auch sehr offen, innovativ und motivierend.